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Meterlange Blutspur durch Prenzlauer Berg: Linke überfallen Neonazi zu Hause – der sticht zu
Um sich für Neonazi-Überfälle zu rächen, fangen Linksextremisten ein Kader des „Dritten Wegs“ an seiner Wohnadresse in Prenzlauer Berg ab. Der Prozess beginnt mit einem Paukenschlag.
Stand:
Es sind seltene Szenen im Kriminalgericht in Moabit. Schwarz vermummte Justizbeamte sicherten am Montagmorgen den Eingang, Journalisten auf dem Weg in Saal B129 mussten gleich mehrere Kontrollen über sich ergehen lassen. Dort wartete der Prozessauftakt zu einem der aufsehenerregendsten Fälle politischer Gewalt in Berlin seit Langem.
Angeklagt sind zwei Personen aus der linksradikalen Szene, die beschuldigt werden, einem 24-jährigen Mitglied der Neonazi-Partei „Der Dritte Weg“ an seiner Wohnadresse in Prenzlauer Berg aufgelauert zu haben, um ihn dann anzugreifen. Infolge des Überfalls wurden sowohl die beiden Angeklagten als auch der junge Rechtsextremist erheblich verletzt.
Der Zuschauerbereich im hinteren Teil des Saals ist an diesem Montag zweigeteilt. Auf der einen Seite Unterstützer der beiden Angeklagten aus der linken Szene, auf der anderen Seite das „Who’s who“ der Neonazi-Kleinstpartei „Der Dritte Weg“ in Berlin und Brandenburg. Ältere und jüngere Kader gemeinsam, darunter bekannte Gewalttäter.
Getrennt wurden die beiden Fraktionen durch Justizbeamte, die sich in der Mitte des Publikums positionierten. Zeitgleich solidarisierten sich etwa 100 Personen aus der linken Szene mit den Angeklagten im Rahmen einer angemeldeten Kundgebung vor dem Gerichtsgebäude.
Angeklagt: Historiker und Sozialarbeiter
Auf der Anklagebank sitzen ein 32-jähriger Historiker und ein 33-jähriger Sozialarbeiter, die gleich zu Beginn in einer gemeinsamen Erklärung zugeben, im April 2024 im Hausflur des Wohnhauses des Rechtsextremisten auf ihr Opfer gewartet zu haben. Nach diversen Überfällen durch „Dritte Weg“-Kader in Berlin sei das Ziel gewesen, dem bekannten Neonazi „Angst zu machen“.
Im Vorfeld der geplanten Tat seien verschiedene Menschen aus dem Bekanntenkreis der Angeklagten Gewalt durch Rechtsextremisten des „Dritten Wegs“ ausgesetzt gewesen. Genannt werden unter anderem Überfälle auf Jugendklubs in Pankow und eine Attacke auf Teilnehmer des Berliner Christopher Street Days. Daraufhin habe man sich gemeinsam mit einem unbekannten Dritten für den „Hausbesuch“ entschieden.

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Aus „heutiger Sicht“ sei die Situation „komplett falsch“ eingeschätzt worden, heißt es in der Erklärung. „Wir hatten vor, ihn zu Boden zu bringen und mit einem Hammer zu bedrohen“, sagt der 32-Jährige auf der Anklagebank, allerdings sei es vorher „Konsens“ gewesen, den Hammer nicht einzusetzen. Dazu kommt es auch nicht. Stattdessen wird der Rechtsextremist Leander S. frühzeitig auf die vermummten Angreifer in seinem Hausflur aufmerksam, als er vom Kampfsporttraining zurückkehrt.
Die Situation eskaliert sofort, es kommt zu Schlägen und Tritten. Und im Gericht zum Paukenschlag. Denn der Rechtsextremist S. gibt zu, ein schwarzes Klappmesser bei sich geführt zu haben, mit dem er sich schließlich versucht zu verteidigen. „Ich habe damit wie wild auf mein Gegenüber eingewirkt“, sagt S., der angibt, „nationaler Weltanschauung“ zu sein.
Schwere Verletzungen
„Als er im Hausflur um die Ecke bog, stach er sofort zu“, bestätigen die Angeklagten. Sie tragen tiefe, teils lebensbedrohliche Stichverletzungen in Brust und Oberschenkel davon. Auch S. wird schwer an der linken Wade verletzt. Ebenfalls eine Stichwunde, die er selbst sich nicht erklären kann. Von den Angeklagten heißt es, sie hätten das Messer zu keiner Zeit geführt. Mutmaßlich verletzte sich S. selbst im Gerangel.
Das Geschehen verlagert sich schließlich vom Hausflur auf die Straße und einen kleinen Spielplatz in der Wichertstraße. Mehrere Zeugen beobachten die brutale Auseinandersetzung. Die zwei schwer verletzten Angeklagten schleppen sich bis zur Brücke über die Ringbahn in der Dunckerstraße und brechen dort in einer Blutlache zusammen.
Der 24-jährige Leander S. wird auf dem Spielplatz von Zeugen erstversorgt. Die Polizei trifft innerhalb weniger Minuten ein und findet das Messer in der unmittelbaren Umgebung. Doch Spuren werde an der Waffe erst dann gesichert, als sie bereits unbrauchbar sind. Die Behörden gehen davon aus, dass S. sich in Notwehr verteidigt habe. In der Anklage wird das Messer den linksradikalen Angreifern zugerechnet. Ein Fehler, wie sich gleich zu Beginn durch die Aussage des Rechtsextremisten herausstellt.
Ermittlungspannen im Vorfeld?
Bereits im Vorfeld des Prozesses hatte die „taz“ über mögliche Pannen bei den Ermittlungen berichtet. So heißt es, dass Leander S. niemals richtig von der Polizei vernommen wurde. Im Prozess wird er lediglich als Zeuge geführt, obwohl die Polizei in der ersten Strafanzeige noch von „Körperverletzung wechselseitig“ ausgegangen sei.
Auch ein im Saal abgespieltes Video wirft Fragen auf. Ein Anwohner nahm die kurze Sequenz von einem Balkon gegenüber auf. Zu sehen sind drei schwarz gekleidete, vermummte und offenbar teilweise verletzte Personen, die über den Spielplatz fliehen. Leander S. rennt ihnen hinterher und versucht offensichtlich, sie zu verfolgen. Zumindest in dieser Szene ist er nicht der Gejagte.
Vor Gericht verheddert sich das angegriffene „Dritte Weg“-Mitglied schließlich während seiner Zeugenaussage und widerspricht sich mehrfach. Schließlich zitiert einer der Verteidiger der Angeklagten einen Bericht über die Tat, der kurz vor Prozessbeginn auf der Homepage des „Dritten Wegs“ veröffentlicht wurde. Von „heldenhafter“ Notwehr ist dort die Rede und dem Leitsatz des „Dritten Wegs“, nicht die andere Wange hinzuhalten, sondern „zu kommen, um das Schwert zu bringen“. „Ja“, sagt Leander S., das könne man so stehen lassen. Kommenden Montag wird weiter verhandelt.
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